Leseprobe - Der Ruul-Konflikt 6: Im Angesicht der Niederlage

Stefan Burban • 19. Januar 2024

Nach langer Zeit mal wieder eine Leseprobe. Dieses Mal: Den kompletten Prolog aus dem Roman: Der Ruul-Konflikt 6: Im Angesicht der Niederlage


Prolog

 

 

 

Commodore Michail Kuslow tippte im hoffnungslosen Bemühen, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen, nervös mit den Fingerspitzen auf die Lehne seines Kommandosessels.

Die Lichter auf der Brücke des Schweren Kreuzers TKS Liverpool wa-ren gedämpft, wenig mehr als eine Notbeleuchtung. Inzwischen hatten sich Kuslows Augen zwar an das dämmrige Licht gewöhnt, eine adäquate Lichtquelle wäre ihm jedoch erheblich lieber gewesen. Er langweilte sich zutiefst. Bei diesem Licht konnte man nicht einmal lesen. Ein Umstand, der den Commodore zusätzlich frustrierte.

Kuslow fröstelte. Die Lebenserhaltung war im Zuge der Operation ebenfalls gedämpft worden, damit die Liverpool nicht mehr Energie ab-strahlte als unbedingt notwendig. Der Schwere Kreuzer der Hermes-Klas-se und seine sechs Begleitschiffe lagen nun schon geraume Zeit auf der Lauer. Im Asteroidenfeld des Bortus-Primus-Systems wirkten sie lediglich wie sieben Trümmer inmitten Tausenden anderer. Die Illusion war so perfekt, wie sie unter den gegebenen Umständen sein konnte. Er hoffte, es würde ausreichen. Die Täuschung musste nicht lange gelingen. Nur lange genug. Was seine Gedanken wieder einmal zu dem Mann an seiner Seite brachte. Dem Mann, dessen Uniform ihn von den übrigen Offizie-ren auf der Brücke auf geradezu penetrante Weise abhob. Der Mann war für Kuslow ein Störenfried, der nicht hierher gehörte. Bedauerlicherweise war er hier derjenige, der eigentlich das Sagen hatte.

 

Der schwarz gekleidete MAD-Offizier mit den glatt frisierten braunen Haaren und der Hakennase erinnerte Kuslow unangenehm an eine Krä-he. Der Mann strahlte eine unnatürliche Ruhe aus, eine Ruhe, die der Commodore nicht ganz nachvollziehen konnte. Immerhin waren seine Schiffe aufgrund der Informationen hier, die der Geheimdienstoffizier beschafft hatte. Sie warteten nun schon seit acht Tagen unter minimaler Energiesignatur.

 


Acht Tage.

 

Acht Tage, in denen seine Leute im Prinzip nichts anderes tun konn-ten als Däumchen drehen. Nicht einmal Kampfübungen konnte er ansetzen, um seine Mannschaften ein bisschen auf Trab zu bringen, da sie hierfür Energie auf einige Systeme legen mussten, was zwangsläufig ihre Energiesignatur erhöht hätte. Die Männer und Frauen wurden langsam unruhig. In den letzten zwei Tagen hatte es drei Schlägereien gegeben, was kein Anzeichen besonderer Streitlust war, sondern schlicht Ausdruck der Frustration.

 

Ihre Beute hätte schon vor fünf Tagen hier auftauchen sollen. Es war eigentlich pure Idiotie, noch länger auszuharren, doch der MAD-Offizier bestand darauf. Und Kuslows Vorgesetzte waren bedauerlicherweise der-selben Meinung. Dieser Einsatz dauerte exakt so lange, wie der MAD-Offizier es befahl. Keine Sekunde weniger.

 

»Sie sind ein wenig überfällig, nicht wahr?!«, suchte Kuslow das Ge-spräch.

 

»Sie kommen schon«, entgegnete der MAD-Offizier gelangweilt und begutachtete betont unauffällig eine Konsole an der Wand.

 

Kuslow verstand den Wink und verfiel erneut in brütendes Schwei-gen. Der Mann war ein Rätsel. Er war auf seinem Schiff aufgetaucht mit einem Befehl in der Hand und der Anweisung, Kuslows Kampfgruppe für die Dauer mehrerer Wochen direkt dem Befehl des MAD zu unter-stellen. Der MAD-Offizier hatte sich nicht mal vorgestellt. Eigentlich eine Frage der Höflichkeit. Er kannte dessen Namen immer noch nicht. Auf eine entsprechende Frage Kuslows hin hatte der Mann einfach geant-wortet, je weniger der Commodore wisse, desto besser. Der Mann war Captain, aber damit erschöpfte sich Kuslows Wissen um seinen mysteri-ösen Gast auch schon. Der Commodore wusste nicht einmal genau, auf wen oder was sie eigentlich warteten. So eine Frechheit. Ein Komman-dant sollte im Bilde sein, welche Gefahren auf die Männer und Frauen unter seinem Befehl warteten.

 

Aber wenn das Oberkommando wollte, dass sie warteten, dann warte-ten sie eben … und warteten … und warteten …

 


Die taktische Konsole meldete sich mit einem durchdringenden Ton zu Wort und Kuslow hatte alle Mühe, nicht überrascht zusammenzuzu-cken.

 

»Kontakt«, meldete Jäger, sein taktischer Offizier.

 

»Meldung!«, verlangte Kuslow sofort.

 

»Ich orte sieben, ich wiederhole, sieben Kontakte. Vier große Brocken und drei kleinere. Sind eben an der südlichen Nullgrenze eingetroffen und beschleunigen schnell ins innere System.«


»Haben Sie das Schwerkraftfeld bereits erreicht?« »Positiv. Die haben ein ganz schönes Tempo drauf.«

 

Der MAD-Offizier tauchte mit all seiner düsteren Präsenz direkt ne-ben Kuslows Kommandosessel auf und brachte das Kunststück zustande, zum selben Zeitpunkt gleichgültig und selbstzufrieden zu wirken.

»Wie wäre es denn jetzt mit einigen Hintergrundinfos«, hakte Kuslow nach. Dieselbe Frage hatte er in den letzten Tagen immer und immer wieder gestellt. Ohne Erfolg. Der MAD-Offizier hielt dicht. Halb erwar-tete er, dass seine Bemühungen auch diesmal wieder auf taube Ohren sto-ßen würden. Doch zu seiner Überraschung antwortete sein Gegenüber.

»Die dicken Brocken sind Transportschiffe. Sie dürfen unter keinen Umständen zerstört werden. Ihre … Fracht … ist enorm wichtig. Die drei anderen Schiffe sind umgebaute Frachter. Sie dienen den Transportern als Geleitschutz. Ihre Feuerkraft ist größer, als es für Schiffe dieser Kate-gorie typisch wäre, aber sie können es auf keinem Fall mit einem halben Dutzend Schwerer Kreuzer aufnehmen. Ihr Bedrohungspotenzial ist also minimal.«

 

»Was zum Teufel tun wir eigentlich hier?«

 


»Fragen Sie sich nicht, was sieben Schiffe so weit hier draußen zu su-chen haben? Sämtliche Handelsrouten sind weit weg.«

 

Kuslow überlegte. »Aber die RIZ ist nur einen Katzensprung ent-fernt.«

 


Der MAD-Offizier lächelte bei Kuslows überlegter Schlussfolgerung. Eine beunruhigend gefühlskalte Geste. »Allerdings. Und was fällt Ihnen dazu ein?«

 

»Sieben zivile Schiffe, die sich verdächtig nahe an ruulanisch kontrol-liertem Gebiet aufhalten«, ließ Kuslow seine Gedanken schweifen. »Pira-ten?«

 


»Sklavenjäger«, verbesserte der MAD-Offizier, seine Mundwinkel zu einer Grimasse des Abscheus verzogen. Es war die erste echte Gefühlsre-gung, die Kuslow an dem Mann wahrnahm.

 

Sklavenjäger waren inzwischen ein ernst zu nehmendes Problem. Pira-terie stellte schon lange keine gewinnbringende Einnahmequelle mehr dar. Das Risiko überwog den zu erwartenden Profit bei Weitem. Die Raumflotte patrouillierte sämtliche Handelsrouten und selbst ein kleiner Kreuzer war den meisten Piratenschiffen überlegen.

Aus diesem Grund hatten sich viele Piraten neue Betätigungsfelder ge-sucht, um schnell an Geld zu kommen. Der Krieg gegen die Ruul brachte vielen den erhofften Geistesblitz: Sklaven! Es war allgemein bekannt, dass die Slugs ständig auf der Suche nach Sklaven für ihre Schiffe waren. Die Kriegsverluste der ruulanischen Stämme machten es für den Feind dringend notwendig, seine Bestände an Lebewesen kontinuierlich aufzu-füllen.

 

Und skrupellose Individuen nutzten diese Marktlücke gnadenlos aus. Sie überfielen abgelegene Ortschaften auf Hinterwäldlerplaneten und ver-schleppten die Bevölkerung. Zuerst griffen sie hauptsächlich auf Planeten benachbarter Völker zurück: Sca’rith, Nerai, Meskalno und Til-Nara. In den letzten Monaten überfielen sie jedoch zunehmend menschliche Kolo-nien. Es war ein ernst zu nehmendes Problem. Und für die Sklavenjäger ein sehr profitables Geschäft. Sklavenschiffe waren die einzigen nicht-ruulanischen Schiffe, die sich gefahrlos der RIZ nähern oder sie sogar durchqueren durften. Die Ruul waren auf sie angewiesen und die Skla-venjäger wussten dies genau.

 

Hoher Gewinn bei relativ geringem Risiko. Handelsrouten zu schüt-zen, war eine Sache, das Militär war jedoch nicht stark genug, um jede noch so kleine Ortschaft auf jeder abgelegenen Welt zu schützen. Eine Lücke, derer sich die Sklavenjäger nur zu bewusst waren. Darüber hinaus bewiesen sie ein bemerkenswertes Talent dafür, sich stets die schwächsten Kolonien für ihre Überfälle herauszupicken. Und sie schlugen ausgerech-net immer dann zu, wenn die entsprechende Welt gerade von einer Pa-trouille besucht worden und mit einer Rückkehr in nächster Zeit nicht zu rechnen war. Es wurde inzwischen in Erwägung gezogen, dass die Sklavenjäger über Insiderinformationen verfügten. Auch enge Kontakte zu den letzten Rebellen, den sogenannten Kindern der Zukunft, wurden nicht mehr ausgeschlossen. Es gab sogar Theorien, nach denen die Kin-der der Zukunft den Sklavenhandel nicht nur förderten, sondern ihn so-gar selbst initiiert hatten, um ihrem schwindenden Einfluss entgegenzu-wirken und ihre Taschen zu füllen beziehungsweise ihren Operationen mit dem Erlös neuen Schwung zu verleihen. Selbst wenn es sich nur um eine Theorie handelte, so prognostizierte diese doch eine Bedrohung, die das Militär auf keinen Fall dulden durfte. Kuslow selbst gab nicht viel auf Gerüchte. Er warf dem MAD-Offizier einen schrägen Seitenblick zu. Die Anwesenheit seines geheimnisvollen Gastes ließ jedoch plötzlich Raum für allerlei Spekulationen.

 

»Sie meinen, diese Transporter sind voller …«

 

»… Menschen«, vollendete der MAD-Offizier den Satz. »Sie stammen von einem Überfall vor drei Wochen auf die Casdan-Kolonie. Die Sklavenjäger sind hier, um die Fracht an einige ruulanischen Schiffe zu über-geben.«

 

Kuslows Kopf zuckte hoch. »Die Ruul kommen hierher?«

 

»Keine Panik«, beruhigte der MAD-Offizier ihn. »Die Schiffe werden nicht kommen. Ein Kollege von mir hat sich mit einem anderen Kreu-zer-Geschwader um dieses Problem gekümmert. Es wird niemand kom-men, der uns stört. Diese Mistkerle dort draußen warten vergebens. Sie gehören uns.« Er zwinkerte Kuslow vielsagend zu. »Besser gesagt, Ihnen. Wir sind hier, um diese Schiffe aufzubringen.«

 

»Was ist mit dem Geleitschutz?«

 

»Wir brauchen mindestens ein Schiff intakt. An Bord dieser Schiffe sind Informationen, die meine Vorgesetzten benötigen. Ansonsten ist das Ihre Show, Commodore.«

 

Der MAD-Offizier trat einen Schritt hinter Kuslows Kommandoses-sel, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Der Commodore war dankbar für den Freiraum, den der Mann ihm ließ. Er atmete einmal tief durch, bevor er seine Befehle gab.

 

»Com, Signal an die übrigen Schiffe. Systeme hochfahren. Volle Kraft voraus. Sobald wir aus dem Trümmerfeld kommen, fächerförmig aus-schwärmen und klar Schiff zum Gefecht. Taktik, alle Waffen aktivieren, Torpedorohre laden und Mündungsklappen öffnen. Und übermitteln Sie der Neu-Delhi, sie soll sich bereit machen, auf mein Kommando ihre Jä-ger auszuschleusen.«

 

Die Beleuchtung auf der Brücke der Liverpool wurde schlagartig heller. Kuslow kniff reflexartig die Augen zusammen ob des ungewohnten Lich-tes. Auf Knopfdruck hin baute sich über seiner Lehne das taktische Ho-logramm auf mit den sieben Schiffen, die sich schnell dem Zentrum des Schwerkraftfelds näherten, und seinen eigenen sieben Einheiten, die wie ein Schwarm Piranhas aus dem Asteroidenfeld stießen.

Noch während er das Hologramm begutachtete, zeigten die Sklaven-schiffe erste Reaktionen. Die Schiffe gingen auf Gegenkurs zu seinen Einheiten und gaben Vollschub. Die drei zu Kampfschiffen umgebauten Frachter zeigten jedoch deutlich höhere Beschleunigungswerte als die vier großen Transporter und ließen diese schnell hinter sich. Die Transporter versuchten aufzuschließen, doch es war vergebens.

 

»Befehl an die Neu-Delhi. Jäger ausschleusen!«

 

Die TKS Neu-Delhi war ein älterer Träger der Achilles-Klasse. Auf

Kuslows Befehl hin öffneten sich die Hangartore des Schiffes und zwei Zerberus-Geschwader zu je zwölf Jägern stoben ins All. Die kleinen Schif-fe formierten sich paarweise und schwärmten nach Steuer- respektive Backbord aus, um die flüchtenden Schiffe in die Zange zu nehmen. Da-bei konzentrierten sie sich vor allem auf die großen Transporter, um im Notfall deren Antriebe ausschalten zu können.

 

»Com, ein Signal auf einem Breitbandkanal. Ich will, dass mich jedes dieser Schiffe empfangen kann.«

 

»Aye, Sir. Sie können sprechen.«

 

»Achtung! Achtung!«, sprach Kuslow mit volltönender Stimme. »Hier spricht Commodore Michail Kuslow an Bord des terranischen Schweren Kreuzers Liverpool. Dieser Ruf gilt den nicht registrierten, fliehenden Schiffen direkt voraus. Sie stehen unter dem Verdacht der Piraterie und des Sklavenhandels. Ich stelle Sie hiermit allesamt unter Arrest. Stoppen Sie die Antriebe und deaktivieren Sie sämtliche offensiven und defensi-ven Systeme. Sollten Sie sich weigern, werden wir das Feuer eröffnen.«

 

Der letzte Satz war im Prinzip nur eine leere Drohung. Kuslow würde nie das Feuer auf Schiffe voller gefangener Zivilisten eröffnen. Die Kom-mandanten der Sklavenschiffe wussten dies jedoch nicht. Und es war ih-nen schmerzhaft bewusst, dass ihre eigene Eskorte sie im Stich ließ, wäh-rend sechs schnelle Hermes-Kreuzer und zwei Zerberus-Geschwader Jagd auf sie machten. So trafen sie die einzig logische Entscheidung.

 

»Sir, die vier Transporter setzen die Beschleunigung auf null und de-aktivieren die Schilde«, meldete Commander Valerie Michaels, seine XO.

 

»Signal an die Valencia, die Alexandria und die Hawk. Sie sollen die Transporter in Schach halten und ihre Marines an Bord schicken, um die Besatzungen festzusetzen. Die Neu-Delhi soll zurückbleiben und die Kaperung mit ihren Jägern absichern. Die anderen Schiffe sollen uns fol-gen.«

 

Die drei Kampfschiffe der Sklavenjäger hatten bereits einen deutli-chen Vorsprung und waren sogar noch immer dabei, diesen auszubauen. Sie steuerten direkt auf die nördliche Nullgrenze zu, um in die RIZ zu flüchten. Selbst Hermes-Kreuzer hätten es unter diesen Bedingungen sehr schwer, sie einzuholen, bevor es ihnen möglich war, aus dem System zu springen. Doch Kuslow hatte noch einen Trumpf im Ärmel. Und jetzt war genau der richtige Zeitpunkt, um diesen einzusetzen.

 

»Com, Signal an die Kobra. Zeit, um loszuschlagen.«

 

Kuslow beobachtete sein taktisches Hologramm aufmerksam, während sein ComOffizier hektisch in sein Headset sprach. Die entsprechen-de Reaktion ließ nicht lange auf sich warten.

 

Hinter dem zweiten Planeten des Systems schoben sich plötzlich zehn weitere Kontakte in Sensorreichweite. Kuslow verzog den Mund zu einem gehässigen Grinsen, als die übrigen Kreuzer seiner Kampfgruppe dem feindlichen Verband den Weg abschnitten.

 


Auf Bitten des MAD-Offiziers hatte er einen Teil seines Kommandos dort postiert. Vor acht Tagen hatte er sich noch keinen Reim auf diese Maßnahme machen können. Nun ergab sie durchaus Sinn. Die Sklaven-jäger saßen im Schwerkraftfeld in der Falle. Ohne Möglichkeit, eine der beiden Nullgrenzen des Systems zu erreichen. Kuslows Achtung vor sei-nem Gast wuchs, als ihm bewusst wurde, dass der Mann die Handlungen ihrer Gegner vorhergesehen und bereits im Vorfeld vereitelt hatte. Dieser Offizier war sehr gefährlich. Zum Glück stand er auf ihrer Seite.

 

Die drei Kampfschiffe wendeten, um sich mit ihren Verfolgern zu be-fassen. Wer auch immer dort das Kommando innehatte, rechnete sich im Gefecht mit drei Kreuzern wohl höhere Chancen aus als im Gefecht mit zehn Kreuzern.

 

»Feind nähert sich. Perfekte Dreiecksformation«, meldete Lieutenant Jäger.

 

»Wir brauchen mindestens eines intakt«, flüsterte der MAD-Offizier so leise, dass nur Kuslow ihn zu hören imstande war. »Zwingen Sie sie zur Kapitulation.«

 

»Können Sie mir auch sagen wie?«

 


»Statuieren Sie ein Exempel.«

 

Gar keine schlechte Idee. Kampf bis zum Tod war zwar ein heroischer Grundsatz, doch nur schwer aufrechtzuerhalten, wenn man mit ansah, wie sich ein befreundetes Schiff in Rauch auflöste, und man selbst nur einen Knopfdruck davon entfernt war, dessen Schicksal zu teilen.

 

Er widmete seine ganze Aufmerksamkeit dem taktischen Hologramm. Aber wen sollte er erledigen und wen verschonen? Am liebsten wäre es ihm, den Anführer der Sklavenjäger lebendig in die Finger zu bekom-men, doch wie sollte er herausfinden, auf welchem Schiff dieser zu fin-den war? Die drei Schiffe waren inzwischen mit Bezeichnungen versehen. Das Schiff an der Spitze war mit Alpha gekennzeichnet, das Schiff zu dessen Rechten mit Beta, das andere mit Gamma. Und ihre Formation formte ein exakt gleichseitiges Dreieck.

 

Er überlegte noch, als das Schiff mit der Bezeichnung Gamma die Geschwindigkeit ein ganz klein wenig verringerte, sodass die beiden anderen Schiffe – von den Kapitänen mit Sicherheit unbemerkt – ein wenig Distanz aufbauten und die Formation auseinanderzogen.

Erwischt!, grinste Kuslow. Wenn man auf eines vertrauen konnte, dann auf die Feigheit von Piraten und Sklavenjägern.

 

»Com, noch mal einen Breitbandkanal öffnen.« »Sprechen Sie, Commodore.«

 

»An die drei Piratenschiffe! Stoppen Sie sofort und ergeben Sie sich. Das ist unsere letzte Warnung.«

 

Als Antwort auf Kuslows Aufforderung tauchten neun rot blinkende Symbole auf dem Hologramm auf, die von den gegnerischen Schiffen ausgingen und schnell in Richtung der drei Schweren Kreuzer beschleu-nigten.

 

»Torpedos im Anflug«, meldete Jäger. »Einschlagpunkt in etwa zwölf Minuten.«

 

Falsche Antwort, ihr Trottel.

 

»Flakbatterien Feuer frei, sobald die Flugkörper in Reichweite sind. Befehl an die München und die Toulouse, wir konzentrieren unsere Salven. Alpha und Beta sind die Ziele. Gamma unter keinen Umständen beschie-ßen.«

 

Die einkommenden Torpedos wurden von den Flaks der Schweren Kreuzer unter Dauerfeuer genommen, sobald sie nahe genug waren. Ei-ner nach dem anderen geriet ins Kreuzfeuer der Schiffe und verging in einem Schrappnellschauer. Für Kuslows Einheiten bestand nie auch nur die geringste Gefahr.

 

Jetzt bin ich dran.

 

»Feuer frei!«

 

Die drei Kreuzer feuerten insgesamt siebenundzwanzig Torpedos auf die Schiffe der Sklavenjäger ab. Die umgebauten Frachtschiffe des Geg-ners zeigten ein Verhalten, das stark an Panik erinnerte, als sie ihre For-mation auflösten und auseinanderstoben. Kuslow entblößte seine Zähne zu einem gehässigen Grinsen, denn er wusste, dass die Aktion sinnlos war.

 

Den Kapitänen der drei Schiffe gelang es, acht Torpedos abzuschüt-teln. Eine beachtliche Leistung, doch bei Weitem nicht gut genug. Die Schiffe mit der Bezeichnung Alpha und Beta vergingen in zwei grellen Explosionen. Sie hörten buchstäblich von einer Sekunde zur nächsten auf zu existieren.

 Der MAD-Heini wollte ein Exempel? Jetzt hat er eines.

 

Mit einmal Mal fand sich das letzte feindliche Schiff allein und ver-lassen wieder. Kuslow vermochte sich durchaus vorzustellen, wie verletz-lich sich der Kommandant im Moment fühlen musste.

 

»Sir?«, meldete sich der Offizier an der Com zu Wort. »Man wünscht Sie zu sprechen.«

 

Na also.

 

»Durchstellen.«

 

Das taktische Hologramm wurde ersetzt von der mürrischen, narben-übersäten Miene eines überraschend jungen Mannes. Selbst über die Comverbindung konnte Kuslow den Hass des feindlichen Kommandan-ten beinahe körperlich spüren.

 

»Mit wem spreche ich?«, verlangte Kuslow zu wissen.

 

»Captain Daniel Rads.«

 

Dass der Mann sich tatsächlich als Captain bezeichnete, löste in Kuslow ein Gefühl der Übelkeit aus. Er zwang den Brechreiz hinunter und konzentrierte sich auf sein Gegenüber.

 

»Captain, Ihre Schwesternschiffe sind zerstört und die Transportschif-

 

fe, für die Sie verantwortlich waren, sind aufgebracht. Ich fordere Sie ein

 

letztes Mal auf, sich zu ergeben.«

 

»Was bieten Sie mir also an?«

 

»Ihnen anbieten?« Die Frechheit des Mannes raubte Kuslow den Atem. Er wollte schon etwas Bissiges erwidern, als er die Präsenz des MAD-Offiziers erneut neben seinem Kommandosessel spürte.

 

»Tote Männer geben keine Antworten mehr.«

 

Eine einfache Aussage. Und doch zutreffend. Piraterie und Sklaven-handel waren beides Vergehen, auf die die Todesstrafe stand. Natürlich hatten betreffende Delinquenten theoretisch das Recht auf ein ordentli-ches Verfahren und eine angemessene Verteidigung. In der Praxis sah das jedoch so aus, dass ein Schiffskommandant, der ein Piraten- oder Skla-venschiff aufbrachte, an Ort und Stelle ein Standgericht anberaumen durfte – mit ihm selbst als vorsitzendem Richter, Flottenoffizieren als Beisitzer, einem Flottenoffizier als Ankläger und zu guter Letzt einem Flottenoffizier als Verteidiger.

 

Es verstand sich von selbst, dass das Urteil daher immer gleich laute-te: Tod im Weltraum. In der Regel wurde das Urteil innerhalb einer Stun-de nach Schließung der Sitzung vollstreckt.

 

Und damit hatte Kuslow nicht das geringste Problem. Nur stellte ihn

 das in diesem besonderen Fall vor eine nicht geringe Komplikation. Soll-te er Rads keinen Ausweg anbieten, ließ er diesem gar keine andere Wahl, als bis zum Tod zu kämpfen, egal wie aussichtslos die Sache auch war. Der Tod in einem explodierenden Raumschiff war dem langsamen, qual-vollen Tod im Weltraum jederzeit vorzuziehen. Normalerweise wäre Kuslow nur zu gern bereit, ihm diesen Gefallen zu tun. Jedoch beinhalte-te – laut dem MAD-Offizier neben ihm – die Datenbank von Rads’ Schiff Informationen, die der MAD unbedingt haben wollte, ganz zu schweigen davon, dass man vorhatte, die Besatzung einem Verhör zu un-terziehen. Ein schwieriges Problem, jedoch besaßen Kommandanten im Feld, was Strafzumessung betraf, ein wenig Entscheidungsspielraum.

 

»Falls Sie sich ergeben und kooperativ zeigen, werde ich dafür sorgen, dass man sie in einer Strafkolonie interniert.« Bei jedem einzelnen Wort drohte Kuslow die Galle hochzukommen.

 


»Wie lange?«

 

»Wie lange? Lebenslänglich natürlich.«

 


Rads lachte unterdrückt auf, doch Kuslow bemerkte einen deutlichen Ansatz von Nervosität in dessen Tonfall.

 

»Nicht sehr erstrebenswert.«

 

»Aber Sie und Ihre Männer würden leben.«

 

»Vergessen Sie’s.« Das Hologramm wurde dunkel. Rads hatte die Ver-bindung unterbrochen.

 

»Na toll! Und jetzt?«

 

»Das feindliche Schiff bezieht Angriffsposition«, meldete Jäger. »Be-fehle, Sir?«

 

»Warten Sie noch, Mr. Jäger.« Kuslow wandte sich an den MAD-Offi-zier. »Vorschläge?«

 

»Ich gebe zu, ich bin jetzt auch ein wenig überfragt. Damit hatte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet.«

 

»Mr. Jäger, können Sie das Schiff ausschalten, ohne es zu zerstören?« Bevor der taktische Offizier antworten konnte, kam erneut ein Ruf

 

von der Kommunikationskonsole. »Sir? Wir werden wieder von dem feindlichen Schiff gerufen.«

 

Kuslow wechselte einen verwirrten Blick mit dem MAD-Offizier. »Durchstellen!«

 


Anstelle von Rads’ Gesicht erschien jedoch ein deutlich älteres. Im Hintergrund bemerkte er den heftig zappelnden Möchtegern-Captain, wie er sich im Griff dreier muskulöser Besatzungsmitglieder wand.


»Bitte nicht schießen. Wir ergeben uns. Bitte nicht schießen. Rads wurde soeben als Captain abgesetzt. Wir akzeptieren Ihre Bedingungen.«

 

Na also.

 

»Stoppen Sie Ihren Antrieb und deaktivieren Sie sämtliche Waffen und die Schilde. Versammeln Sie sich dann in der Offiziersmesse und er-warten Sie die Ankunft unserer Marines. Und keine Waffen. Wenn meine Leute auch nur eine Waffe sehen, ist mein Angebot hinfällig.«

 

»Verstanden.« Das Hologramm wurde erneut dunkel.

 


Kuslow gönnte sich den Luxus, sich zu entspannen und hörbar zu seufzen.

 

»Commander Michaels, schicken Sie die Marines an Bord und si-chern Sie das Schiff. Nachdem das erledigt ist, lassen Sie Rads und sei-nen XO unter Bewachung zu mir bringen.«

 

Er schwenkte seinen Kommandosessel herum, um dem MAD-Offizier zu mustern.

 

»Und jetzt?«

 


»Und jetzt?!« Der MAD-Offizier lächelte humorlos. »Jetzt fängt der schwierige Teil erst an.«


 

 

 



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Derzeit arbeite ich am mittlerweile 11. Band der SF-Serie "Das gefallene Imperium" unter dem Titel "Waffenbrüder". Aus diesem Anlass hier nochmal eine Leseprobe zu Band 1 "Die letzte Bastion": Der Boden bäumte sich unter Captain Horatio Lestrade auf. Der drahtige Offizier in der marineblauen Uniform der terranisch-imperialen Raumflotte hielt sich nur unter größten Mühen aufrecht. Der Mann in Zivilkleidung mit dem schütteren Haar, der vor ihm auf dem Sessel saß, traktierte die Tastatur auf dem Tisch mit beiden Händen, als wolle er die Tasten in den Tisch hineinhämmern. »Wie lange noch?«, fragte Lestrade gepresst. »Bin gleich so weit«, erklärte der Mann aufs Höchste konzentriert und wischte sich einige Schweißperlen von der Stirn. Lestrade gönnte dem Computer, der die ganze hintere Wand des Raumes einnahm, kaum einen Blick, obwohl dieser den Grund für sein Hiersein darstellte. Eine weitere Explosion erschütterte die Militärbasis Luna drei in ihren Grundfesten. Dieses Mal konnte sich Lestrade nur aufrecht halten, weil er im letzten Moment nach der Sessellehne seines Gesprächspartners griff und sich mit den Fingernägeln festkrallte. »Mario?! Es ist langsam wirklich an der Zeit.« »Ich weiß! Ich weiß«, erwiderte der Mann und steigerte seine Bemühungen sogar noch. Lestrades Armbandkom piepste und forderte die uneingeschränkte Aufmerksamkeit des Captains. »Ja?«, fragte er ungeduldig. »Captain?« Die Stimme gehörte Commander Eugene Mueller, seinem XO an Bord der VENGEANCE. »Was gibt es, Eugene?« »Die Drizil haben die Mars-Verteidigungslinie durchbrochen. Ihre Hauptstreitmacht hält direkt auf die Erde zu. Die Kolonien der Jupitermonde sind bereits gefallen und der Mars steht kurz davor zu fallen. Falls wir hier wegwollen, müssen wir es jetzt tun.« »Irgendwelche Nachrichten von Lord Admiral Maskirov?« »Tot. Sein Flaggschiff wurde während des Rückzugs zum Mars zer stört. Genauso wie die Hälfte seines Kommandos. Alles fällt auseinander. Die Verteidigung wird das nicht mehr lange durchhalten. Die Flotte im System ist in Dutzende Grüppchen zersplittert.« Lestrade schloss für einen Moment die Augen. Maskirov war es gewesen, der ihn vor fünf Jahren zum Captain befördert und zum Kommandanten der VENGEANCE ernannt hatte. Und schon zuvor hatte ihn ein beinahe freundschaftliches Verhältnis mit dem Mann verbunden. Dessen Tod traf ihn in seiner Seele und öffnete ein tiefes Loch, das kaum zu fül len war. »Captain?«, drängte Mueller. »Weitere Drizilschiffe nehmen Kurs auf den Erdmond.« In diesem Moment stieß der Mann auf dem Sessel einen triumphierenden Schrei aus, betätigte noch zwei Tasten und zog ein Speichergerät aus einem Schlitz an der Seite des Computers. »Bereiten Sie alles für den Start vor. Ich bin unterwegs.« Lestrade riss dem Mann das Speichergerät praktisch aus den Händen und wandte sich den ungeduldig hinter ihm wartenden Marines zu. »Gentlemen. Es wird Zeit zu gehen.« Er wandte sich ein letztes Mal um. »Komm, Mario. Wir verschwin den.« »Ohne mich, alter Freund.« Lestrade blieb abrupt stehen und warf dem Mann einen ungläubigen Blick zu. »Sieh mich nicht so an«, lächelte sein Gegenüber wehmütig. »Selbstmord ist doch sonst nicht deine Art«, hielt Lestrade ihm vor. »Mit Selbstmord hat das wenig zu tun, Horatio.« Er deutete auf den Computer. »Jemand muss dafür sorgen, dass den Drizil das hier nicht in die Hände fällt. Ich werde den gesamten Speicherkern löschen und den Computer anschließend in die Luft jagen. Es ist die einzige Möglichkeit, um zu verhindern, dass die Drizil Profit aus der Einnahme dieser Basis schlagen.« »Und was wird dann aus dir?« Der Mann zuckte ergeben mit den Achseln. »Das wird sich zeigen. Je nachdem, in welcher Stimmung die Drizil sind. Kriegsgefangenschaft – oder tot.« »Mario …«, begann Lestrade, doch der Mann hob Einhalt gebietend die Hand. »Meine Entscheidung steht. Mach es mir nicht noch schwerer. Es gibt keinen anderen Weg. Vielleicht können wir auf diese Weise ein paar wenige Systeme und Menschenleben retten. Es ist nur eine kleine Hoffnung, doch wenn mein Hierbleiben die Eroberung auch nur eines einzigen Systems verhindert, dann hat es sich für mich gelohnt.« »Captain«, drang erneut die Stimme seines XO aus dem Armbandkom, »Enterschiffe der Drizil haben die Außenhülle der Militärbasis gerammt. Wir konnten nicht alle abschießen.« »Ich komme«, erwiderte der Offizier eilig, bevor er sich wieder seinem Gegenüber zuwandte. »Viel Glück, Mario.« »Dir auch, Horatio.« Captain Horatio Lestrade drehte sich um und warf keinen Blick zurück, während er, umgeben von seinen Marines, den Korridor entlangeilte. Er fürchtete, vor Scham, Frustration und Wut in Tränen auszubre chen, würde er es doch tun. Die Militärbasis Luna schmiegte sich in einen Krater auf der Oberflä che des Erdmondes, der vor Äonen von einem Meteoriten geschlagen worden war. Die Basis beherbergte etwa fünfhundert zivile Angestellte und an die eintausendfünfhundert Soldaten. All diese Personen waren auf den Beinen und liefen durcheinander. Angesichts der Invasion und der drohenden Niederlage verfielen sie langsam in Panik. Die Soldaten unter der Basisbesatzung schienen noch bemüht, so etwas wie Ordnung und Disziplin aufrechtzuerhalten, doch die Zivilisten wirkten wie eine Horde aufgeschreckter Hühner. Plötzlich drang eine hektisch klingende Stimme aus den Deckenlautsprechern. »Driziltruppen in der Basis! Driziltruppen in der Basis! Alle Mann auf Abwehrstation!« Soldaten der Basis gingen am Ende des Korridors in Stellung, den Feind erwartend. Zivilisten, die sie behinderten, wurden ungeduldig aus dem Weg gescheucht. Aus dem Augenwinkel bemerkte Lestrade, wie die Marines in seiner Begleitung ihre Kampfanzüge versiegelten und die M-22-Nadelgewehre durchluden. Lestrade hätte sich in diesem Augenblick nichts sehnlicher gewünscht, als ebenfalls in einem Kampfanzug zu stecken. Die Drizil waren eine fledermausähnliche Spezies, auf die die Menschheit vor etwa einem Jahr zehnt zum ersten Mal getroffen war. Und wie Fledermäuse waren die Drizil fast blind, verfügten jedoch über ein Organ, das ähnlich einem Echolot zur Orientierung Schallwellen ausstieß. Diese Schallwellen stell ten jedoch für Menschen auch eine höchst gefährliche Waffe dar. Die Effekte des ausgestoßenen Tones reichten von leichter Benommenheit und Ohnmacht über geplatzte Trommelfelle bis hin zu Koma und in Extrem fällen sogar Tod, da die Schallwellen in der Lage waren, Gehirnblutungen auszulösen, falls sie eine bestimmte Hochfrequenz erreichten. Lestrade hätte nicht gedacht, dass die Drizil in der Lage waren, die Verteidigung des Solsystems derart schnell zu überwinden. Ansonsten hätte er auf jeden Fall seinen Kampfanzug angelegt, bevor er sein Schiff verließ. Jedoch schienen ihm zu diesem Zeitpunkt Geschwindigkeit und Beweglichkeit wichtiger denn umfassender Schutz. Etwa hundert Meter voraus peitschte eine Explosion durch den Korridor. Menschen in der Nähe wurden wie Stoffpuppen durch die Luft ge schleudert. Viele standen nicht mehr auf. Die Luft füllte sich von einer Sekunde zur nächsten mit Qualm und hauchfeinen Trümmern aus den Überresten der Korridorwände. Lestrade hustete würgend. Seine Augen begannen zu tränen. Trotzdem erkannte er wie durch einen Schleier Gestalten, die in einem seltsamen, staksigen Gang durch den Rauch schlichen. »Vorsicht, Sir!«, schrie einer der Marines, packte Lestrade grob am Kragen und schubste ihn unsanft in einen angrenzenden Korridor. Die Marines eröffneten sofort das Feuer. Die Nadelgewehre verschossen Hochgeschwindigkeitsprojektile in Form von Metallspitzen mit einer Länge von 5 Zentimetern. Die Geschosse waren in der Lage, so gut wie jede Panzerung, einschließlich der Außenskelette der Drizil, zu durch dringen und das weiche Gewebe darunter in Fetzen zu schießen. Bei je dem Schuss verursachten sie ein charakteristisch zischendes Geräusch. Lestrade vermochte von seinem Standort aus nicht zu sehen, ob die Marines etwas trafen, doch er hörte die schrillen Schmerzensschreie aus Drizilkehlen. Lestrade nickte grimmig. Der Krieg war vielleicht verloren, doch die Menschheit ging nicht kampflos unter. Die Marines zogen sich kämpfend in den Korridor zurück, in dem sich der Captain befand. Doch ei ner aus der Gruppe wurde an der Brust vom Impuls einer Drizilwaffe ge troffen und gegen die nächste Wand geschleudert. Drizilwaffen fraßen sich regelrecht durch Panzerung. Der Mann war tot, noch bevor er auf dem Boden aufschlug. Der Offizier, der die Marines anführte, schubste Lestrade weiter, wäh rend er sich immer wieder umsah. Aus dem Korridor drangen weitere Kampfgeräusche. Die Stationsbesatzung wehrte sich offenbar immer noch gegen die Eindringlinge. Stolz keimte in Lestrade auf. Diese Männer und Frauen wussten, dass der Kampf aussichtslos war und das Ergebnis feststand. Dennoch kämpften sie bis zum bitteren Ende. Ungefähr zwanzig Minuten später erreichten sie ohne weitere Zwi schenfälle schließlich die Andockrampe, an der die VENGEANCE festgemacht war. Die Tür öffnete sich zischend und schloss sich ebenso geräuschvoll hinter ihnen. Explosionen erschütterten nun die gesamte Basis in einer nicht enden wollenden Kakofonie. Die Andockrampe ragte in einem zwanzig Meter langen Rohr von der Basis weg und verband Militärbasis Luna drei mit dem angedockten Schlachtkreuzer. Die zwanzig Meter wirkten auf Lestrade wie ein ewig langer Marsch. Das Rohr bäumte sich mehrmals unter dem gewaltigen Druck naher Explosionen auf. Das Metall knirschte protestierend unter dem enormen Druck. Mit einem Stoßseufzer der Erleichterung erreichte Lestrade die zweifelhafte Sicherheit seines eigenen Schiffes. Erschöpft drehte er sich zum Anführer der Marines um. »Danke. Das war gute Arbeit.« Er schielte nach den Rangabzeichen auf der Brust des Kampfanzugs. »Major …« Der Verschlussmechanismus des Kampfanzugs öffnete sich zischend und der Marine nahm den Helm ab. Eine feuerrote Mähne und ein müdes, aber lächelndes Gesicht kamen zum Vorschein. »Ross«, erwiderte die Soldatin. »Major Melissa Ross.« uns nach Perseus.«Als Lestrade die Brücke des Schlachtkreuzers der Swordmaster-Klasse HMS VENGEANCE erreichte, waren die Startvorbereitungen bereits abge- schlossen und das Schiff entfernte sich langsam von der Luna-Militärbasis, während es Fahrt aufnahm. Sein XO erwartete ihn bereits. »Status?«, verlangte Lestrade, während er sich in seinen Sessel fallen ließ. »Luna ist eingenommen. Wir haben vor etwa vier Minuten den Funk kontakt zur Basis verloren. Die Drizil rücken gegen die Erde vor.« Mueller machte eine Pause und Lestrade bekam den deutlichen Eindruck, dass dem Mann irgendetwas unangenehm war. »Das Geschwader erwartet Ihre Befehle, Captain.« »Meine Befehle? Was ist mit Commodore Rodriguez?« »Gefallen«, lautete die knappe Antwort. »Die CROWN OF SOL?« Mueller schüttelte den Kopf. »Wurde auf dem Weg hierher zerstört. Der Schlachtkreuzer und seine Begleitschiffe gerieten einem feindlichen Schwarm in die Quere. Sie hatten keine Chance.« Lestrade ließ sich schwer in seinen Sessel fallen. Die Last der Verantwortung, die nun auf ihm ruhte, drohte ihn zu zerdrücken. Mit dem Tod von Rodriguez rückte er als dienstältester Captain des Geschwaders automatisch in die Position des Interims-Commodore auf. Durch das Brückenfenster hatte er einen einzigartigen Blick auf die Lunabasis. Etwa zwei Dutzend Enterschiffe der Drizil steckten in der metallenen Hülle. Durch einige Bullaugen sah er Flammen im Innern der Basis wüten. Luna war tatsächlich verloren, das stand außer Frage. Es kostete ihn sichtlich Mühe, doch Lestrade riss sich zusammen. Sei ne Leute brauchten ihn. Dringend. »Zeigen Sie mir die Aufstellungen der eigenen und der feindlichen Streitkräfte.« Ein Hologramm wuchs direkt vor ihm aus dem Boden. Es zeigte das gesamte Solsystem, wobei es eigene Einheiten und Einrichtungen in beruhigendem Grün, feindliche jedoch in bedrohlichem Rot darstellte. Die Sache sah nicht gut aus. Der Großteil der Drizilstreitkräfte konzentrierte sich auf die wichtige Marskolonie und die Erde selbst. Das Abwehrfeuer von der Oberfläche des Mars wurde beständig schwächer. Weder in der Umlaufbahn noch in der näheren Umgebung des Roten Planeten befanden sich noch terranisch-imperiale Schiffe. Zumindest keine kampffähigen. Das All war übersät mit unzähligen Trümmerteilen. Er schätzte, dass bei der Verteidi- gung des Mars mindestens vierzig menschliche Schiffe zerstört worden waren. Die Erde andererseits wurde noch hart umkämpft. Etwa siebzig terranische Schiffe hatten sich in die nähere Umgebung der Erde zurückgezogen und lieferten den Drizil einen erbitterten Abwehrkampf. Die Drizil bevorzugten für die Kriegsführung hauptsächlich leichte und schnelle Einheiten. Ihre Kampfweise sah überraschende Präzisionsschläge vor. Oftmals attackierten sie terranische Kommandoschiffe zuerst, sozusagen, um der Schlange den Kopf abzuschlagen. Das Rückgrat ihrer Raumstreitkräfte bestand aus Fregatten und Zerstörern sowie Trägern für die Jägerunterstützung. Ihr einziges Zugeständnis an schwere Kriegsschiffe stellten die Großkampfschiffe der Intruder-Klasse dar. Die Drizil benutzten sie aus diesem Grund häufig als Kommandoschiffe für ihre Schwärme. Das menschliche Imperium hingegen setzte auf schweres Gerät. Schlachtkreuzer der Swordmaster- und Behemoth-Klasse waren die schwersten von imperialen Werften gebauten Einheiten, doch es gab noch Angriffskreuzer, Begleitkreuzer und Träger. Zur Unterstützung verfügten terranische Flotten zudem über Korvetten, die dafür zuständig waren, die Peripherie einer Streitmacht gegen schnelle feindliche Einheiten abzu schirmen, und über Torpedoschnellboote, die in Gruppen operierten, ein Ziel torpedieren und durch ihre bloße Masse überwältigen konnten. Die terranischen Schiffe, die sich bis zum Orbit der Erde durchge kämpft hatten, gehörten allesamt schweren Schiffsklassen an. Die leich teren Schiffe waren bereits zerstört worden. Die Drizil würden für die Einnahme des Planeten einen hohen Preis bezahlen müssen, so viel war sicher. Doch auch der Ausgang dieser Schlacht stand im Grund bereits fest. Die Linie der Verteidiger wurde mit jeder Minute, die verging, dünner und es schlüpften bereits erste Landungsschiffe durch die Verteidigung. Darüber hinaus bekamen die Drizil laufend Verstärkung. Die Flut an Schiffen schien gar kein Ende mehr zu nehmen. Jede Faser in Lestrades Körper schrie danach, zur Erde zu fliegen und sich seinen Kameraden anzuschließen. Sie standen mit dem Rücken zur Wand und brauchten jedes Schiff. Nur das Wissen, das er eine dringendere Mission zu erfüllen hatte, hielt ihn zurück. Er warf einen kurzen Blick auf die Aufstellung seines eigenen Kommandos. Um die VENGEANCE hatten sich einundzwanzig Schiffe versammelt. Einundzwanzig von ursprünglich fünfunddreißig. Nach Commodore Rodriguez’ Tod und dem Verlust seines Schiffes, war die VENGEANCE der einzig verbliebene Schlachtkreuzer der Swordmaster-Klasse. Des Weiteren bestand die Einheit noch aus zwei Schlachtkreuzern der Behemoth-Klasse, fünf Angriffskreuzern der Ares-Klasse, fünf Begleitkreuzern der Guardian-Klasse, zwei Trägern der Fortress-Klas se und sechs Korvetten der Gunner-Klasse. Das war nicht viel, um die Li nien der Drizil zu durchbrechen. Nach vorsichtigen Schätzungen hielten sich derzeit zwischen 400 und 600 feindliche Schiffe im System auf. Die imperiale Schiffskonstruktion war ebenso funktionell wie einfach. Imperiale Schiffe bestanden aus drei dreieckigen Modulen, die leicht versetzt übereinander angeordnet waren. Auf der Spitze des untersten Mo duls befand sich die Kommandobrücke in einer durchsichtigen Kuppel. Während eines Gefechts ließ sich die Brücke mit Panzerlamellen absichern. Die Brückenbesatzung konnte jedoch weiterhin uneingeschränkt die Vorgänge rund um das Schiff über eine 360°-Hologrammsicht verfolgen. Hinter dem Kopf folgte der zylindrische Schiffskörper und am Heck die Antriebssektion mit den sechs halbmondförmigen Schubdüsen, die im Kreis angeordnet waren. Die Hauptbewaffnung imperialer Schiffe bestand aus mehreren Torpedorohren, die nicht nur in der Lage waren, nach vorn und nach achtern zu feuern, sondern in beschränktem Um fang auch zur Seite. Drizilschiffe sahen hingegen ganz anders aus. Sie wirkten wie gefährlich aussehende Vögel mit ausgebreiteten Schwingen, was zweifellos eine psychologische Wirkung erzielen sollte. Außerdem gab es eine Theorie unter Exo-Anthropologen, nach der die Drizil von Vögeln abstammten. Ihre Schiffskonstruktion schien dies zu untermauern. »Sir?«, meldete sich der weibliche Kommunikationsoffizier zu Wort. »Eine Übertragung.« »Herkunft?« Der Lieutenant hantierte einige Sekunden an ihrer Station, bevor sie sich mit großen Augen erneut zu ihrem Kommandanten umdrehte. »Von der Erde. Es ist Marschall Yaraton.« Ein Blitz durchzuckte Lestrade und für einige wichtige Momente war er nicht in der Lage, sich zu regen oder auch nur ein Wort zu sagen. Yaraton war der Oberbefehlshaber der imperialen Streitkräfte und er wich nie weit von der Seite des Kaisers. »Verbindung aufbauen!« Ohne nennenswerte Verzögerung baute sich ein Hologramm vor Lestrades Kommandosessel auf. Das durchscheinende Abbild eines Mannes in den Sechzigern mit schütterem Haar, Geheimratsecken und ernsten Augen erschien. »Marschall?« »Captain«, begrüßte der Mann Lestrade und nickte ihm knapp zu. »Ihr Status?« »Mission abgeschlossen, Marschall. Ich habe es. Wir starten gerade von der Lunabasis.« »Ausgezeichnet. Ich schicke Ihnen einige taktische Daten über die Aufstellung der Drizilschiffe. Möglicherweise haben wir eine Schwach stelle in ihrer Formation entdeckt, durch die Sie schlüpfen können.« »Vielen Dank, Marschall.« Lestrade zögerte. »Wo sind Sie gerade?« Der Mann lächelte wehmütig. »Noch auf der Erde. Genau wie Seine Majestät.« »Aber …« »Ich weiß. Wir sollten längst fort sein, doch es ist nicht alles nach Plan verlaufen. Wir haben zu lange gewartet. Unser Fluchtweg ist abge schnitten. Die Drizil schießen jedes Schiff ab, das die Blockade zu durch brechen versucht.« »Halten Sie durch. Wir kommen und holen Sie.« Lestrade wollte gerade den Befehl geben, als Yaratons erhobene Hand ihn zurückhielt. »Keine Chance, Lestrade. Vergessen Sie es. Keines Ihrer Schiffe würde einen Rettungsversuch überleben. Ihre Aufgabe ist wichtiger als unsere Flucht. Und das wissen Sie auch.« Lestrade zögerte erneut. Schließlich nickte er ergeben. »Ja, Sir.« »Wie ich höre, ist Commodore Rodriguez gefallen?!« Das Hologramm flackerte leicht und Lestrade glaubte, im Hinter grund Explosionen und Schüsse zu hören. Die Hauptstadt stand bereits unter massivem Beschuss. »Ja, Sir.« Ein Lächeln zog die Mundwinkel des Marschalls leicht nach oben. »Dann spreche ich hiermit eine Schlachtfeldbeförderung aus und erhebe Sie in den Rang eines Commodore. Leider müssen wir die Zeremonie und das Prozedere angesichts der Umstände auslassen, aber Sie verstehen das sicher.« Lestrade schluckte schwer. Erst beim dritten Versuch gelang es ihm, seine staubtrockene Kehle unter Kontrolle zu bringen und ein einzelnes Wort herauszubringen. »Verstanden …« Marschall Yaraton nickte Lestrade ein letztes Mal zu. »Viel Glück … Commodore.« Ohne auf eine Antwort zu warten, fiel das Hologramm in sich zusammen und verschwand. Lestrade saß wie betäubt auf seinem Sessel, sich der Blicke seiner Brückenbesatzung kaum bewusst. Commodore. Er hatte immer gehofft, es eines Tages in den Rang eines Commodore oder vielleicht sogar eines Lord Admirals zu schaffen. Doch nicht so. Nicht, während die Zivilisation der Menschheit in sich zusammenfiel. Und auf seinen Schultern laste te die Verantwortung, wenigstens einen Teil dieser Zivilisation zu retten. »Sir?«, sprach sein XO ihn an. »Ihre Befehle?« »Haben Marschall Yaratons Daten uns erreicht?« »Jawohl«, bestätigte Mueller. »Einspeisen.« Kurz darauf starrte Lestrade auf eine Sternkarte des Solsystems. Die Daten von der Erde waren in der Tat hilfreich, verfügte der Blaue Planet doch über weitreichendere und vor allem sensiblere Sensoren als jedes seiner Schiffe. »Sehen Sie das?«, fragte er seinen XO, der neugierig näher trat und die Stelle betrachtete, auf die Lestrade deutete. »Ja, allerdings. Die Drizil kümmern sich im Wesentlichen um Mars und Erde. Dazwischen befinden sich so gut wie keine feindlichen Einheiten. Sie konzentrieren sich darauf, die letzten Widerstandsnester zu brechen. In Richtung Sonne sind kaum Schiffe von ihnen. Wenn wir jetzt ausbrechen und in Richtung Sonne beschleunigen …« »Gelingt es uns vielleicht, durchzubrechen, bevor sie reagieren können«, vollendete Lestrade den Satz. »Alle Schiffe Gefechtsformation einnehmen. Kurs auf die Sonne nehmen.« »Aye-aye, Sir.« »Wie viel Drizilschiffe befinden sich auf unserer unmittelbaren Flugbahn?« »Achtzehn, Sir.« Lestrade überlegte fieberhaft. Das war zwar kein schlechtes Verhältnis, doch schlechter, als er es sich gewünscht hätte. Dieses Gefecht würde nicht ohne Blessuren für sein Geschwader ausgehen. Da führte kein Weg dran vorbei. Falls die Drizil seine Taktik durchschauten und es ihnen gelang, weitere Schiffe zur Verstärkung heranzuführen, bevor ihm der Durchbruch gelang, würde es noch weit schlimmer werden, vielleicht so gar unmöglich. Doch derlei Gedanken behielt er wohlweislich für sich. Ein Kommandant musste selbst in schwierigen oder ausweglosen Situationen einen kühlen Kopf bewahren und Optimismus ausstrahlen. Optimismus war das A und O. Die einundzwanzig Schiffe beschleunigten gleichmäßig auf Reisegeschwindigkeit Richtung Sonne, während um sie herum das Solsystem in Chaos und Blut versank. Für einen Augenblick überlegte Lestrade, den Kurs zu ändern und die Schiffe anzugreifen, die die Erde belagerten. Nur die Dringlichkeit seiner Mission und die Tatsache, dass sonst niemand mehr hier war, der diese Mission hätte ausführen können, hinderten ihn daran. »Feindliche Schiffe auf unserer Flugbahn«, meldete Mueller. »Direkter Kurs auf uns.« »Effektive Gefechtsdistanz?« »In zweiunddreißig Minuten. Feindliche Schiffe halten direkt auf uns zu. Außerdem sind feindliche Einheiten aus der Mars-Umlaufbahn ausge schwenkt und verfolgen uns.« »Können Sie uns einholen?« »Möglicherweise. Falls uns die Schiffe voraus zu lange aufhalten.« »Dann wollen wir mal den Weg freiräumen«, meinte Lestrade mehr zu sich selbst und fletschte kampflustig die Zähne. Wenigstens würde er sich nicht davonstehlen, ohne vorher noch einige Drizil ins Jenseits zu schicken. »Energiewaffen laden und Fernkampfbewaffnung in Bereitschaft.« »Aye-aye, Cap… Commodore.« Lestrade hörte Muellers Fauxpas, entschloss sich jedoch dazu, diesen zu ignorieren. Alle Beteiligten würden Zeit brauchen, sich an seinen neu en Rang zu gewöhnen. Er selbst bildete da keine Ausnahme. Die Minuten vergingen quälend langsam, während die zwei Verbände aufeinander zuschossen. Auf dem taktischen Hologramm bemerkte er, wie die Drizilschiffe aus Richtung Mars an ihrem Heck klebten und sich abmühten, die kleine Gruppe fliehender menschlicher Schiffe einzuholen. Lestrade warf der Anzeige an der oberen rechten Ecke einen kurzen Blick zu. Die Uhr lief rückwärts und zeigte die Zeit an, die das Geschwader benötigte, um die zum Sprung in den Hyperraum notwendige Min destgeschwindigkeit zu erreichen. Es würde knapp werden. Verdammt knapp sogar. Falls sie die Schiffe voraus schnell genug abfertigten, konnten sie es jedoch schaffen. Mit viel – mit sehr viel – Glück. »Noch zwölf Minuten, Sir.« »Jäger ausschleusen!« Die beiden Träger der Fortress-Klasse setzten in kurzen Intervallen ihre Jäger ab. Jedes der beiden Schiffe führte acht Staffeln zu je sechs Jägern mit sich. Die kleinen Vanguard-Jäger – schnittige Aufklärer mit Stummelflügeln und Doppeltriebwerk – übernahmen die Spitze der Formation, dicht gefolgt von den schwereren Shadow-Abfangjägern und den klobigen und schwerfälligen Mammoth-Jagdbombern. Lestrade hätte sich im Augenblick nichts sehnlicher gewünscht, als eine Anzahl Torpedoschnellboote auf seiner Seite zu wissen. Die winzigen, aber tödlichen Schiffe hätten eine schöne Schneise in die feindliche Formation gerissen. Leider waren alle Boote im Solsystem bereits zerstört oder in schwere Kämpfe verwickelt. Den terranischen Jägern standen schwere Driziljäger vom Typ Blutstachel und Abfangjäger vom Typ Flüsterwind gegenüber. Die Namen der Drizil für diese Maschinen waren nicht für menschliche Zungen geeignet, doch die Übersetzung kam an diese beiden Bezeichnungen am ehes ten heran. Lestrade bemerkte sofort das Ungleichgewicht. Nicht nur, dass die Drizil vier Trägerschiffe gegen seine zwei ins Gefecht führten, die Drizil träger waren überdies in der Lage, zwölf Staffeln zu je acht Jägern mit sich zu führen. Die beiden Jagdverbände formierten sich jeweils oberhalb ihrer Groß kampfschiffe, um dem zu erwartenden Fernkampfbeschuss nicht in die Quere zu kommen. »Effektive Gefechtsdistanz erreicht.« »FEUER!« Das Geschwader spie eine Salve Torpedos auf den nahenden Gegner. Die Drizil eröffneten beinahe zeitgleich das Feuer. Während menschliche Schiffe Torpedoprojektile feuerten, verschossen die Drizilschiffe nicht nur eine Art Torpedos, die aus purer Energie bestanden, sondern zusätzlich etwas ungleich Tödlicheres. Ihr Feind feuerte im Fernkampf nämlich Projektile ab, die mit einer geleeartigen Masse gefüllt waren. Es handelte sich um eine Art genmanipulierter Amöben, die von den Schiffsbesatzungen nur die Grüne Pest genannt wurde. Einmal infiziert, musste ein Schiff in neunzig Prozent der Fälle als verloren angesehen werden. Die Projektile waren in der Lage, Panzerung zu durchbrechen, und entließen die Grüne Pest ins Innere des Zielschiffes. Dann begann das Grauen. Die Amöben fraßen sich durch alles, egal ob anorganisch oder organisch. Im Laufe der Zeit hatte es viele Ansätze gegeben, dieser Bedrohung Herr zu werden, um Schiff und Besatzung zu retten. Ein Lösungsvor schlag lautete, die betreffende Sektion abzuschotten und dem Vakuum auszusetzen, ein anderer schlug den Einsatz von Marines mit Flammenwerfern vor. All dies waren zwar gangbare Möglichkeiten, doch oft konnten diese nicht schnell genug umgesetzt werden, um ein Schiff zu retten, und es blieb nur noch der Einsatz der Rettungskapseln. Lestrade dankte Gott auf Knien dafür, dass die Drizil die Grüne Pest nicht gegen Planeten, sondern nur gegen andere Kriegsschiffe einsetzten. Die Pest machte nämlich keinen Unterschied zwischen Menschen und Drizil. Ein infizierter Planet könnte nie wieder betreten, geschweige denn kolonisiert werden. Und da die Drizil hinter menschlichen Welten, deren Lebensraum und Rohstoffen her waren, gingen die Kriegsgegner der Menschheit mit ihrer biologischen Waffe sehr sorgfältig um. Sie achteten peinlich genau darauf, diese Waffe nicht in unmittelbarer Nähe eines bewohnbaren Planeten einzusetzen, um das Risiko zu vermeiden, einen in takten Planeten durch Fehlschüsse zu kontaminieren. Beide Seiten achteten weiterhin darauf, dass ihre Lenkwaffen nicht unkontrolliert durchs All flogen, sofern sie kein feindliches Schiff trafen. Im Falle des Imperiums limitierte der Brennstoff die Reichweite der Torpedos. Ging der Brennstoff zur Neige, zerstörten sie sich nach fünf Sekunden selbst. Die Energietorpedos der Drizil lösten sich nach einer Wei le selbständig auf. Keiner der Kriegsparteien war daran gelegen, dass nach einer Schlacht Hunderte von potenziellen Zeitbomben durch ein System trieben. Die Durchschlagskraft der Energietorpedos der Drizil war enorm, auch wenn sie auf dem Weg zwischen Herkunftsschiff und Ziel viel von ihrer Energie einbüßten und diese in die Kälte des Alls abstrahlten, doch nichts im Arsenal des Feindes war so gefürchtet wie die Grüne Pest. »Achtung! Einschlag!« Die VENGEANCE bäumte sich mit einer Plötzlichkeit auf, die Lestrade die Luft aus den Lungen presste. Nur sein Sicherheitsgurt verhinderte, dass er über seine eigene Brücke geschleudert wurde. Mit einem Auge beobachtete er das taktische Display. Neun feindliche Großkampfschiffe verschwanden mit einem Mal vom Plot. Drei Zerstörer, ein Träger, vier Fregatten und sogar ein Drizil-Flaggschiff der In truder-Klasse – oder wie die Drizil sie nannten, der Ek’naj’mek-Klasse, der größte Kriegsschiffstyp im Arsenal des Feindes. Das Schiff war um dreißig Prozent größer als ein Schlachtkreuzer der Swordmaster-Klasse, der das größte Schiff auf terranischer Seite war. Eine weitere Energietorpedosalve der Drizil hämmerte brutal auf sein Geschwader ein und schüttelte sein Schiff durch. Es wurde zur Tortur, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. »Schadensbericht!« Sein XO eilte umgehend an seine Seite. »Bugpanzerung ist um zwan zig Prozent reduziert. Kein interner Schaden. Noch sind die Drizilwaffen nicht durchgedrungen.« »Der Rest des Geschwaders?«, fragte Lestrade, obwohl er bereits wuss te, dass ihm die Antwort nicht gefallen würde. Mueller zögerte einen Moment. Er fuhr erst fort, als Lestrade ihm einen scharfen Blick zuwarf. »Zwei Korvetten zerstört. Totalverlust. Einer der Begleitkreuzer ist schwer angeschlagen. Lebenserhaltung und künstlicher Schwerkraft sind nur minimal verfügbar. Torpedobewaffnung um fast sechzig Prozent reduziert.« Lestrade knirschte mit den Zähnen. Das kurze Gefecht war sogar noch schlimmer ausgegangen, als er befürchtet hatte. Doch ihm blieb keine Zeit, mit seinem Schicksal zu hadern, denn die überlebenden Dri zilschiffe schlossen schnell auf. Ein Nahkampf war unvermeidlich. Er fragte sich, warum die Drizil nicht die Grüne Pest einsetzten, doch er vermutete, dass diese Schiffe wohl ihren Vorrat an dieser Waffe aufge braucht hatten. Immerhin kämpften sie schon den ganzen Tag und die sen Einheiten waren mit Sicherheit bereits viele terranische Schiffe zum Opfer gefallen. Die Jäger beider Seiten gaben Vollschub und beharkten sich auf kür zeste Distanz. In der Schwärze des Alls blühten rote und grüne Explosio nen auf, als Maschinen hüben wie drüben wie überreifes Obst zerplatzten. Die schweren Mammoth-Jäger mit den Zwillingsgeschütztürmen auf dem Dach und der lang gezogenen Schnauze, in der sich die Zielerfassungssensoren befanden, führten den Vorstoß an. Die Kontrahenten schenkten sich nichts und Gnade wurde zu einem Wort ohne Bedeutung. Der Gegner war zwar zahlenmäßig überlegen, doch das terranisch-imperiale Pilotenprogramm galt als das beste überhaupt und die menschlichen Piloten manövrierten den Gegner immer wieder aus. Eine beliebte Taktik war es, in Dreiergruppen zu agieren. Ein Jäger spielte den Köder, bot sich als Ziel an, und wenn Driziljäger die Verfolgung aufnahmen, schnappte die Falle zu und zwei andere terranische Jäger erledigten die Verfolger. Leider war es oftmals auch der Köder, der dabei auf der Strecke blieb. Die Drizil jedoch zahlten einen hohen Zoll an Leben und Material. Die Kampfschiffe der Drizil kamen drohend näher und passierten ihre menschlichen Widersacher auf kürzeste Distanz. »Volle Breitseite!«, befahl Lestrade und die Schiffe seines Geschwaders eröffneten das Feuer auf den verhassten Feind. Die Laserbatterien der Breitseite schnitten tiefe Breschen in die Flanken der feindlichen Kriegsschiffe. Panzerung wurde auseinandergeschnitten und schmolz in dicken Tropfen dahin, die im All nahezu umgehend zu seltsam anmutenden Formen erstarrten. Punktverteidigungslaser bemühten sich währenddessen, die Jäger der Drizil und die Geschosse der feindlichen Kriegsschiffe ins Visier zu nehmen. Sie gaben immer wieder kurze Lichtimpulse ab, die alles zerfetzten, mit dem sie in Berührung kamen. Auf kurze Distanz verwendeten die Drizil Geschütze, die Explosivprojektile verschossen, die im Falle eines Treffers in der Lage waren, die Panzerung aufzureißen. Lestrade rannen dicke Schweißperlen über die Stirn. Mit einer ungeduldigen Geste wischte er sie beiseite. Eine weitere Korvette geriet ins Kreuzfeuer zweier feindlicher Fregatten und innerhalb weniger Sekunden überzog das gegnerische Feuer die Oberfläche des kleinen, unglückseligen Schiffes mit einem Teppich aus Feuer. Die Panzerung hielt derartige Kräfte nicht lange aus und das Schiff brach der Länge nach auf. Männer und Frauen wurden zappelnd ins All gerissen, als es in Stücke gerissen wurde. Der bereits angeschlagene Begleitkreuzer NORWEGEN lieferte sich ein Duell mit gleich zwei feindlichen Zerstörern und einem Flaggschiff der Intruder-Klasse. Trotz seiner enormen Gefechtsschäden schlug sich die NORWEGEN fabelhaft. Der Skipper des Begleitkreuzers bewies ein intuitives Geschick dafür, das Schiff immer wieder durch das gegnerische Feuer gleiten zu lassen und dem Gegner dabei unbeschädigte Panzerung zuzuwenden, an der der Beschuss nahezu wirkungslos verpuffte. Im Gegenzug schoss die NORWEGEN einen der Zerstörer in Stücke und den zweiten manövrierunfähig. Das hilflose Schiff trudelte steuerlos davon. Die Mannschaft konnte nur noch hoffen, dass irgendwann je mand die Zeit fand, sie zu bergen. Der Intruder erwies sich jedoch als härtere Nuss. Das Drizilschiff war fast viermal so groß wie der Begleitkreuzer und um ein Vielfaches besser bewaffnet. Die beiden Schiffe tauschten auf kürzeste Distanz Salven aus und füg ten sich gegenseitig schwere Schäden zu. Der Intruder verlor mehrere Ge schützrohre an Bug und Steuerbord, der Begleitkreuzer durch die Ant wort des Drizilschiffes im Gegenzug fast seine gesamte Backbordbewaff nung. Die NORWEGEN begann zu schlingern, was auf eine Beschädigung des Reaktors und/oder des Antriebs hindeutete. Eine Jagdstaffel und ein Angriffskreuzer der Ares-Klasse eilten herbei, um dem Schiff zu Hilfe zu kommen. Der kampfstarke Kreuzer verheerte die Panzerung oberhalb des Drizilschiffes, während die Mammoth-Jäger Präzisionsangriffe flogen, um Waffenstellungen, Kommunikationsanlagen und vitale Systeme zu zerstören. Das Abwehrfeuer des Intruder wischte zwei Mammoth-Jäger wie Flie gen beiseite und ließ den Ares-Angriffskreuzer erzittern wie ein verwun detes Tier. Die NORWEGEN hatte indes nahezu ihr komplettes Waffenarsenal ein gebüßt und dachte nur noch an Flucht. Die Drizil waren jedoch nicht bereit, ihr diese Option zu gestatten. Salve um Salve schlug auf den Be gleitkreuzer ein, zertrümmerte Panzerung und drang ins Innere des Schiffes vor. Eine Reihe von Sekundärexplosionen riss die Panzerung an mehreren Stellen von innen auf. Flammen leckten ins Freie, nur um vom Vakuum erstickt zu werden. Die NORWEGEN wurde von innen heraus verzehrt. Lestrade bezweifelte, dass von der Besatzung überhaupt noch jemand am Leben war. Wut überkam ihn und füllte jede Faser seines Körpers mit Hass. Und wieder hatten die Drizil gute Menschen ermordet. Menschen, die ihr Schicksal nicht verdienten. Natürlich lag das in der Natur des Krieges, doch dies interessierte Lestrade in diesem Moment nicht. »Beidrehen!«, befahl er. Die VENGEANCE schwenkte gehorsam in einem Dreißiggradwinkel herum, um das feindliche Großkampfschiff ins Visier zu nehmen. Dieses war vollauf damit beschäftigt, den Ares-Kreuzer zu bedrängen, dessen Lage inzwischen ebenfalls immer verzweifelter wurde. »Feuer!« Wie ein Vorbote der Hölle ließ die VENGEANCE ihr gesamtes Waffenarsenal auf den völlig überraschten Intruder nieder. Mit der ersten Salve schaltete die VENGEANCE den Antrieb des Großkampfschiffes aus. Die zweite Salve zerriss die durch den Kampf mit der NORWEGEN ohnehin schon geschwächte Steuerbordpanzerung wie Papier. Die Lasersalven drangen tief ins Innenleben des Intruder vor und verdampften auf ihrem Weg Geräte, Ausrüstung und Besatzungsmitglieder gleichermaßen. Mithilfe seiner Manövrierdüsen schwenkte der Intruder schwerfällig herum, um sich diesem neuen überragenden Gegner zu stellen, doch Lestrade ließ ihm dazu keine Gelegenheit. Er setzte eine weitere Salve nach, die von einer heftigen Explosion am Heck belohnt wurde. Das Schiff stellte sein Feuer von einer Sekunde zur nächsten ein – nur Augenblicke bevor es von einer gewaltigen Detonation auseinandergerissen wurde. Lestrade ließ sich schwer in seinen Sessel sinken. Er atmete ein paarmal gut durch, bevor er sich erneut dem taktischen Plot zuwandte. Es be fanden sich keine feindlichen Schiffe mehr auf ihrer Flugbahn. Die meisten Drizileinheiten in ihrer unmittelbaren Umgebung waren zerstört und die wenigen Überlebenden flüchteten unter den Feuerschutz der verfolgenden Drizilschiffe. Die Verfolger holten immer mehr auf, doch sie würden zu spät kommen. »XO? Kurs auf die Sonne. Sobald wir die Korona hinter uns gelassen und eine angemessene Geschwindigkeit aufgebaut haben, springen wir in den Hyperraum.« »Aye, Sir.« Lestrade musterte sein taktisches Display und zählte die verbliebenen Einheiten unter seinem Kommando. Außer der NORWEGEN und der drit ten Korvette hatten sie noch einen Angriffskreuzer der Ares-Klasse und einen weiteren Begleitkreuzer der Guardian-Klasse verloren, außerdem einen Träger. Die überlebenden Jäger setzten zur Landung auf dem verbliebenen Träger an. Es waren nicht einmal genug, um die Hangars des einen Trägers aufzufüllen, den sie noch hatten. Sie waren entkommen, keine Frage. Doch der Preis hierfür war ungeheuer hoch. »Welche Sprungkoordinaten soll ich eingeben, Commodore?« Lestrade dachte einen Augenblick angestrengt nach. Die Frage war eigentlich keine. Im Moment gab es nur einen sicheren Ort in der Galaxis. »Nach Perseus, Eugene. Bringen Sie uns nach Perseus.«
von Stefan Burban 6. April 2025
Dreadnought der Romulus-Klasse TRS Marathon, unter dem Kommando von Konteradmiral Christopher Valentine. Teil des Sonderkampfverbands zur Eskorte von Präsident Steven Donelly.
von Stefan Burban 5. April 2025
Ich will noch nicht zu viel verraten, aber der 12. Band des Gefallenen Imperiums dreht sich ausschließlich um die Spartaner. Und bei Band 13 + 14 hab ich mir die Midway-Schlacht zum geschichtlichen Vorbild genommen. Und Band 15 wird eine GROßE Überraschung. 😀Ihr dürft euch schon auf einiges freuen. 😀
von Stefan Burban 1. April 2025
In diesem Video lese ich aus einer Vor-Lektorats-Version des Romans "Brennender Horizont" aus der neuen Serie "Terra 2444: Civil War".
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